Schreiben ist, wenn man’s aufschreibt.

Es klingt banal: Schreiben bedeutet, Text aufs Papier zu bringen oder in seinen PC zu tippen. Alles andere nennt man nicht schreiben. Die Angst des Autors vor dem weißen Blatt (oder dem leeren Bildschirm) ist so sprichwörtlich wie die des Tormanns vorm Elfmeter. Es nützt Ihnen wenig, auf die ganz große Eingebung zu warten. Schnell vergeht Tag um Tag – und das Blatt ist immer noch leer.

Wenn Sie denken, Sie könnten nur inspiriert schreiben, ist das allerhöchstens die halbe Wahrheit. Die andere und wichtigere Hälfte ist: Schreiben inspiriert Sie. Räumen Sie also auf mit dem Schriftsteller-Mythos vom Warten auf die große Inspiration. Dieser Mythos hindert Sie am Schreiben. Schreiben ist ein Prozess. Ohne dass Sie schreiben, entsteht kein Text. Ihr Text ist nicht fix und fertig im Kopf, bevor Sie ihn aufschreiben. Ihrem Text können Sie sich nur schreibend nähern. Genau deswegen ist das Warten auf die große Inspiration so sinnlos. Professionelle Schriftsteller/innen wissen das. Genau diesen Sachverhalt beschreibt Jurek Becker in seinem Interview mit Herlinde Koelbl:

„Ich hätte es zu gerne, wenn da plötzlich etwas über mich käme und irgendwie auf wunderbare Weise auf dem Papier stünde. Ich habe aber die dumme Erfahrung gemacht, dass nichts aufs Papier kommt, was ich nicht dorthin schreibe, nicht eine Zeile. Die meisten Zeilen machen Mühe. Die meisten Zeilen sind nicht genial. Ich komme nicht aus dem Staunen heraus, was für ein weiter Weg es ist, von dem Satz, der in meinem Kopf ist, bis zu dem Satz, der auf dem Papier steht. Und diesen Weg zu überbrücken, das ist ein wichtiger Teil dieses Berufes.“ (1)

Um diesen Weg des Satzes vom Kopf zum Papier zu überbrücken, gibt es allerlei Kreativtechniken, Kniffe und Tricks. Und es ist es nützlich, etwas über die 4 Phasen des kreativen Prozesses zu wissen.

(1) Herlinde Koelbl: Im Schreiben zu Haus, Fotografien und Gespräche, Knesebeck 1998, Seite 18

In Gang kommen: Was tun, wenn das Schreiben stockt?

Schreiben muss fließen. Was aber tun Sie, wenn Sie ins Stocken geraten? Schreiben ist – schon rein physiologisch – ein höchst störanfälliger Prozess.

Bei Franz Kafka, der seine Erzählung „Das Urteil“ in einer einzigen Nacht schrieb, störte allein schon der Wechsel des Schreibblocks seinen Schaffensrausch – der einzige Zustand, in dem Kafka schreiben konnte und wollte. Kafka ist allerdings in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Für die meisten Menschen der schreibenden Zunft ist das Schreiben nicht ständiger Schaffensrausch, sondern täglich Brot.

Niemand schreibt einen 500-Seiten-Roman in einer Nacht. Das Problem: Man muss Tag für Tag aufs Neue ins Schreiben hineinkommen. Wie gehen Profis damit um? Verschieden. Einige halten strenge Routine ein, verordnen sich selbst eine bestimmte Anzahl von Seiten pro Tag. Oder sie schreiben eine bestimmte Anzahl von Stunden zu festgelegten Zeiten, am Vormittag oder in der Nacht. Einige brauchen ihren immer gleichen Platz, andere verordnen sich Ortswechsel, Spaziergänge etc.

I. Beschreibung

Kommen Sie mit Ihrem Script gerade nicht weiter, so können Sie sich einfach auf Beschreibungen konzentrieren. Vielleicht wissen Sie im Moment nicht, was Ihr Protagonist als nächstes tun sollte, aber Sie wissen was die Heldin für ein Kleid trägt.

Beschreiben Sie es, in allen Details. Das bringt zwar die Handlung nicht weiter, aber Ihr Schreiben bleibt im Fluss und Sie kommen so wieder in den Text hinein. Eventuell entsteht dabei eine Passage, die Sie noch nutzen können. Falls nicht, dann streichen Sie den Text später eben wieder.

Während die Arbeit an Ihrem Projekt stockt, können Sie auch etwas beschreiben, was nichts mit Ihrem Roman, Ihrer Geschichte, Ihrem Text zu tun hat. Sehen Sie aus dem Fenster. Was sehen Sie? Einen Baum? Eine Taube? Eine Straße? Beschreiben Sie, was Sie sehen. Ganz gleich, ob es einen Bezug zu Ihrem vorliegenden Projekt gibt. Schreibhemmungen lösen Sie am besten durch Schreiben!

II. Hineinmogeln

Manchmal blockieren uns die hohen Erwartungen an uns selbst. Ein hingeschriebener Satz muss perfekt sein. Das ist doch das Mindeste was wir von uns selbst als Autor/in erwarten dürfen, oder? Nein, überzogen hohe Ansprüche und Erwartungen werden Sie blockieren. Es gibt allerdings ein erprobtes Gegenmittel:

Sie spielen die Sache bewusst herunter. Sie sagen sich, ich mache jetzt einfach ein paar Notizen, und werfe eben mal schnell eine ganz vorläufige, provisorische Rohfassung hin. Später kann ich ja immer noch ändern, streichen und umschreiben. Sie erlauben sich also, nicht auf Anhieb perfekt zu sein – und kommen so wieder ins Schreiben hinein.

Die Technik des Hineinmogelns nutzen viele Schriftsteller. Viele brauchen Rituale, um am nächsten Tag wieder in Gang, das heißt, in das Schreiben hineinzukommen. Einige überlisten sich, indem sie am Tag zuvor ihre Arbeit mitten im Satz oder im Wort abbrechen. Am nächsten Tag wissen sie genau, was zu tun ist, wenn sie ihre Arbeit wieder beginnen.
Das Wort fertig schreiben, den Satz vollenden, etc – und schon ist man wieder drin. Andere schreiben den letzten Satz oder Absatz einfach noch einmal ab. Und schon fließt das Schreiben wieder.

III. Freies Schreiben

Schreiben, schreiben, schreiben – egal was. Schreiben Sie wild drauf los, ohne Regeln, ohne Rechtschreibung, ohne Absichten und vor allem ohne das Ganze zu beurteilen. Das Freie Schreiben oder „automatische Schreiben“ zielt darauf Bilder, Gefühle, Ausdrücke unreflektiert wiederzugeben. Schreiben Sie einfach alles auf, was Ihnen wie von selbst in den Stift oder in die Tasten fließt. Sätze, Satzfetzen, Wörter, Wortketten . Ziel ist es, in Fluss zu kommen und Ängste und Hemmungen zu überschreiben, die eigene Kreativität zu entfalten.

Die Dadaisten und Surrealisten erklärten das automatische Schreiben (écriture automatique) Anfang des 20. Jahrhunderts zur Kunstform. Das von der Vernunft unzensierte Denken sollte schreibend zum Ausdruck gebracht werden. André Breton gibt in seinem Ersten Surrealistischen Manifest von 1924 einen Einblick, wie diese Technik funktioniert:

„Lassen Sie sich etwas zum Schreiben bringen, nachdem Sie es sich irgendwo bequem gemacht haben, wo Sie Ihren Geist soweit wie möglich auf sich selbst konzentrieren können. Versetzen Sie sich in den passivsten oder den rezeptivsten Zustand, dessen Sie fähig sind. Sehen Sie ganz ab von Ihrer Genialität, von Ihren Talenten und denen aller anderen. Machen Sie sich klar, daß die Schriftstellerei einer der kläglichsten Wege ist, die zu allem und jedem führen. Schreiben Sie schnell, ohne vorgefaßtes Thema, schnell genug, um nichts zu behalten, oder um nicht versucht zu sein, zu überlegen. Der erste Satz wird ganz von allein kommen, denn es stimmt wirklich, daß in jedem Augenblick in unserem Bewußtsein ein unbekannter Satz existiert, der nur darauf wartet, ausgesprochen zu werden. (…) Fahren Sie so lange fort, wie Sie Lust haben. Verlassen Sie sich auf die Unerschöpflichkeit des Raunens. Wenn ein Verstummen sich einzustellen droht, weil Sie auch nur den kleinsten Fehler gemacht haben: einen Fehler, könnte man sagen, der darin besteht, daß Sie es an Unaufmerksamkeit haben fehlen lassen — brechen Sie ohne Zögern bei einer zu einleuchtenden Zeile ab. Setzen Sie hinter das Wort, das Ihnen suspekt erscheint, irgendeinen Buchstaben, den Buchstaben l zum Beispiel, immer den Buchstaben l, und stellen Sie die Willkür dadurch wieder her, daß Sie diesen Buchstaben zum Anfangsbuchstaben des folgenden Wortes bestimmen.“ (1)

Der beste Zeitpunkt für das automatische Schreiben ist der frühe Morgen, direkt nach dem Aufwachen, wenn das Bewusstsein sich an der Schwelle vom Traum zum Wachzustand befindet. Julia Cameron empfiehlt in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“, sich das Schreiben von „Morgenseiten“ zur guten Gewohnheit zu machen. Bringen Sie direkt nach dem Aufwachen ohne Kontrolle der Vernunft regelmäßig 3 Morgenseiten zu Papier.

„Diese täglichen Morgenspaziergänge (die Morgenseiten, d. V.) sind nicht als Kunst gedacht. Nicht einmal als Geschriebenes. . Diese Seiten sind lediglich als Akt gedacht, Ihre Hand über die Seite zu bewegen und niederzuschreiben, was immer Ihnen in den Sinn kommt. Nichts ist zu unbedeutend, zu albern, zu dumm oder zu skurril.“ (2) Die Autorin empfiehlt das Verfassen von Morgenseiten als eine der wichtigsten Techniken zur Freisetzung künstlerischer Kreativität.

(1) André Breton: Manifest des Surrealismus (1924), in: Der Surrealismus, übersetzt von Ruth Henry, Hg. Patrick Waldberg, Dumont, Köln 1965
(2) Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 2000, S. 34

IV. Zufalls-Technik

Kreativ sein bedeutet, etwas Neues zu schaffen. Aber was ist überhaupt neu? Hatten wir nicht alles irgendwann schon mal? Thematisch gibt es wahrscheinlich wirklich kaum etwas Neues unter der Sonne. Doch die Art, wie wir Bekanntes miteinander verknüpfen, in Beziehung setzen, kann aufregend und neu sein. Sie sollte es sein, wenn wir kreativ arbeitende Menschen sind.

Um etwas neu zu verknüpfen, müssen wir die alten eingefahrenen Muster und Denkwege erst einmal verlassen. Edward de Bono – einer der führenden Lehrer für kreatives Denken – hat eine Vielzahl von Kreativtechniken entwickelt, mit deren Hilfe sich starke, neue und ungewöhnliche Bilder, Ideen und Problemlösungen finden lassen. Eine dieser Techniken arbeitet mit dem Zufallsprinzip:

Formulieren Sie zunächst Ihr Problem bzw. Thema zu dem Sie neue Ideen finden möchten. Lassen Sie sich vom Zufall ein Wort „verordnen“ (z. B. das 7te Wort auf Seite 346 irgendeines Romans) und assoziieren Sie dann dazu. Sie verlassen so die eingefahrenen Bahnen des Denkens und schaffen ungewöhnliche und originelle Verknüpfungen.

V. Cluster

Das Cluster-Verfahren ist eine sehr wirksame Methode des Kreativen Schreibens. Es wurde von der deutsch-amerikanischen Dozentin Gabriele L. Rico 1984 entwickelt und vielfach erprobt. Indem Sie clustern, werden Sie in Nullkommanichts eine Fülle von Stoff zu Ihrem Thema finden. Auf einfache Art verschwindet auch die Angst vor dem weißen Blatt. Sogar Schreibblockaden lassen sich damit lösen. Clustering ist eine Art Brainstorming und funktioniert ähnlich wie das bekanntere Mindmapping.

Nehmen wir an, Sie haben eine gute Idee für eine Geschichte. Vor Ihnen liegt das berüchtigte weiße Blatt. Legen Sie es quer. Sie beginnen immer mit dem Cluster-Kern: Schreiben Sie ein einzelnes Wort oder einen Satz zum Thema Ihrer Geschichte in die Mitte des Blattes. Überlegen Sie nicht lange, folgen Sie unbedingt Ihrem ersten Impuls! Dies ist Ihr Schlüsselwort. Ziehen Sie darum einen elliptischen Kreis. Während Sie diesen Cluster-Kern weiter mit einem Stift umkreisen, assoziieren Sie frei zu Ihrem Schlüsselwort: Metaphern, Begriffe, Sachinformationen, Gefühle, Farben, Gerüche, Zitate . Notieren Sie alles, was Ihnen zu Ihrem Schlüsselwort einfällt. Umrahmen Sie jede Notiz wiederum mit einer Ellipse und ziehen Sie einen Verbindungsstrich zu Ihrem Schlüsselbegriff.
Wichtig ist, dass Sie immer wieder das Hauptthema umkreisen.

Während dieses Prozesses tauchen Formulierungen auf, Wörter, Sätze, Dialogfragmente, Handlungen – der Schreibprozess ist bereits in Gang gekommen. Indem Sie Ihrem Gehirn ganz bildlich Verbindungen aufzeigen (übrigens ist Ihr Blatt jetzt nicht mehr leer!), kommt es zu einer Harmonisierung der rechten und der linken Hirnhälfte. Beide Hemisphären spielen nun miteinander, statt gegeneinander. Clustern Sie so lange, bis Sie das Gefühl haben, fertig zu sein.

Allein die Freude über die unerwartete Fülle der Ausbeute an Stoff ist ein positiver Impuls um jetzt los zu schreiben. Ist ein Begriff, ein Zitat, eine Information dabei, zu der Sie einen besonders emotionalen Zugang empfinden? Dann machen Sie diesen Begriff ohne zu zögern zum Cluster-Kern für ein zweites Cluster. Wichtig ist, dass Sie spontan und unverzagt an Ihre Cluster herangehen. Dann werden Sie sehen, dass sich Ihre Schreibhemmungen und Blockaden bereits in Nichts aufgelöst haben.

 

Schreiben

Sie möchten schreiben? Ob Roman, Kurzgeschichte, Krimi, Sachbuch, journalistische Artikel oder Ihre Autobiografie – schreiben lernt man nur durch Schreiben. Hier finden Sie Antworten auf Fragen rund ums kreative Schreiben und das Thema Kreativität.

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