Lerntheorien: Lernen ist Leben

„Der Mensch hat drei Wege, klug zu handeln.
Erstens durch Nachdenken: Das ist der edelste.
Zweitens durch Nachahmen: Das ist der leichteste.
Drittens durch Erfahrung: Das ist der bitterste.“

Konfuzius

Für uns Menschen ist lernen überlebensnotwendig. Von der ersten Sekunde unseres Lebens lernen wir – und wir sind von Natur aus hervorragend dafür gerüstet. Unser Gehirn ist unglaublich leistungsfähig. Es ist bereits bei der Geburt mit 100 Milliarden Neuronen ausgestattet, die allerdings noch wenig vernetzt sind. Jede Hirnzelle ist mit 2.500 Synapsen versehen – das sind die Kontaktstellen zu anderen Nervenzellen. In den ersten 3 Lebensjahren nimmt diese Zahl in rasendem Tempo zu. Das Gehirn eines zweijährigen Kindes hat bereits so viele Synapsen wie das Gehirn eines Erwachsenen, das eines dreijährigen Kindes sogar doppelt so viele. Danach bilden sich die nicht benötigten oder nicht benutzten Verbindungen wieder zurück. Bis zum Jugendalter werden die Hälfte davon wieder abgebaut sein – und das Gehirn somit auf dem Stand eines Erwachsenen.

Wie wird Lernen definiert?

Unter Lernen versteht man den Erwerb neuer Verhaltensweisen, die nicht durch Reifung oder Wachstum zu Stande kommen. Lernen bezeichnet den bewussten oder unbewussten Erwerb von körperlichen, sozialen und geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Es wird als Prozess verstanden, der relativ stabile Veränderungen des Verhaltens, Denkens und Fühlens hervorbringt, die auf Erfahrungen, neu gewonnen Einsichten und Verständnis beruhen.

Wie lernen wir?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich Forscher verstärkt der Frage zu widmen „Wie lernen wir?“ Im Lauf des Jahrhunderts entstanden Theorien, die Lernen erklären sollten. Diese Lerntheorien lassen sich grob in 3 Kategorien unterteilen: die verhaltensorientierten Lerntheorien, die kognitiven Lerntheorien und die neurophysiologischen Lerntheorien.

Die verhaltensorientierten Lerntheorien gründen auf der Annahme, dass Lernen ein Reiz-Reaktions-Mechanismus sei. Durch Assoziation oder Koppelung eines bisher neutralen Reizes mit einem bekannten entstehen demnach neue Reiz-Reaktions-Verbindungen. Damit das neue Verhalten von Dauer ist, spielt die positive Verstärkung (Belohnung, Lust) eine wesentliche Rolle. Soll ein unerwünschtes Verhalten unterlassen – quasi „verlernt“ – werden, müssen Reiz und Reaktion entkoppelt werden. Bei der Entkopplung spielen negative Verstärker (Bestrafung, Unlust) eine Rolle. Vertreter der verhaltensorientierten Lerntheorien –  des Behaviourismus – waren Pawlow, Skinner und Thorndike.
Die lerntheorischen Erkenntnisse der Behaviouristen gründen sich ausschließlich auf das beobachtbare Verhalten von Tieren im Versuch. Andere Aspekte speziell  menschlichen Lernens wie Einsicht und Verständnis waren bewusst nicht Gegenstand der Forschung, da diese Kategorien nicht sichtbar sind und auch nicht mit Hilfe einer naturwissenschaftlich orientierten Tierversuchsanordnung zu erschließen sind. Trotzdem gehören die Theorien zu den Klassikern in der Geschichte der Lernforschung.

Während für die Verhaltenstheoretiker Lernen ein automatischer Prozess ist, der sich auch ohne Bewusstseinskontrolle abspielt, untersuchen die kognitiven Lerntheorien die Rolle des Bewusstseins, der menschlichen Einsicht und der Selbststeuerung beim Lernen. Vertreter dieser Richtung sind Tolman und Bandura.

Die neurophysiologischen Ansätze erforschen die molekularen Vorgänge im Gehirn, die das Lernen ermöglichen und begleiten. Im Folgenden sind die „Klassiker der Lerntheorie“ kurz dargestellt.

Signallernen – die klassische Konditionierung

Einer der ersten Forscher, die sich „naturwissenschaftlich“ mit dem Thema Lernen beschäftigten, war der russische Physiologe Iwan Pawlow. Sein berühmtestes Experiment ging als „Pawlowscher Hund“ in die Geschichte der Lernforschung ein.

Jeder kennt das Phänomen: Schon beim Anblick oder Geruch eines guten Essens läuft einem automatisch das Wasser im Mund zusammen. Der Speichelfluss, der für die Verdauung benötigt wird, wird also nicht erst durch das Kauen angeregt. Das ist beim Menschen nicht anders als beim Hund. Wissenschaftlich gesprochen: Der Reiz „Futter“ löst die Reaktion „Speichelfluss“ aus.

Bei der Fütterung seiner Hunde ließ Pawlow nun jedes Mal eine Glocke ertönen. Nach einer gewissen Zeit, löste allein der Glockenton die vermehrte Speichelproduktion aus.
Der ursprünglich neutrale Reiz „Glockenton“ wurde also von dem Hund mit dem Reiz „Futter“ gekoppelt und löste jetzt – auch ohne Futter – die entsprechende physiologische Reaktion aus. Den Hunden lief beim Ertönen der Glocke das Wasser im Maul zusammen.

Diese einfachste Form des Lernens nennt man Signallernen oder auch klassische Konditionierung. Sie funktioniert auch beim Menschen. Ein Kind, das regelmäßig vom Arzt eine schmerzhafte Spritze bekommt, fängt an zu weinen. Irgendwann reicht dann vielleicht schon der Anblick eines weißen Kittels, um das Kind zum Weinen zu bringen. Der ursprünglich neutrale Reiz „weißer Kittel“ wird also mit dem schmerzhaften Reiz „Spritze“ assoziiert und führt dann – auch ohne Spritze – zum Verhalten „Weinen“.

Verstärkungslernen – die operante Konditionierung

Ob ein Verhalten positive oder negative Konsequenzen hat, Lust oder Unlust erzeugt, ein Erfolgserlebnis oder ein Misserfolgserlebnis erzeugt – davon hängt ab, ob sich das Verhalten wiederholt und schließlich dauerhaft festigt.

Anhand eines Rattenversuchs hat B. F. Skinner die Wirksamkeit der positiven und negativen Verstärkung belegt. Die Ratten in der so genannten Skinnerbox erhielten eine Futterpille als Belohnung (positive Verstärkung), wenn sie zwei Hebel in der richtigen Reihenfolge drückten. Genauso lernten Ratten auch Hebel zu drücken, um Stromstöße zu vermeiden (negative Verstärkung).

Diese „Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode“ nennt man operante Konditionierung. Sie funktioniert beim Menschen zwar auch, greift aber zu kurz. Vor allem die negative Verstärkung durch Strafe ist sehr problematisch. Wenn ein gewünschtes Verhalten allein
durch Strafe hervorgebracht wird, wird es selbstverständlich nicht aufrecht erhalten, sobald die Strafe oder die Androhung von Strafe wegfällt. Selbst Skinners Ratten hatten sicherlich keinen Grund mehr, die Hebel zu drücken, wenn die Stromstöße ausblieben.

Der Lehrgang „Kindererziehung“ behandelt ausführlicher die Problematik von Belohnung und Strafe als Erziehungsmittel.

Lernen durch Versuch und Irrtum

Sowohl Menschen als auch Tiere lernen durch Ausprobieren. Bei dieser Art des Lernens führt ein zunächst scheinbar zufälliges Verhalten zum Erfolg oder Misserfolg. Führt das Verhalten zum Erfolg, wird es durch diesen Erfolg positiv verstärkt.

Das erfolgreiche Verhalten wird dann in ähnlichen Situationen nicht mehr zufällig, sondern gezielt wieder eingesetzt. Es gilt als gelernt.

Auch hierzu gibt es einen berühmten Tierversuch: Edward Lee Thorndike sperrte hungrige Katzen in einen Käfig. Sie maunzten, schmiegten sich an die Gitterstäbe und betätigten auch zufällig einen Hebel. Die Tür ging auf und die Katzen kamen an ihr Futter. Erneut eingesperrt begannen sie sich schon zielgerichteter mit dem Hebel zu befassen und schließlich lernten sie die Tür zum Futter ohne Umschweife durch Bedienen des Hebels zu öffnen. Nach Thorndike lernten die Katzen die Tür deshalb zu öffnen, weil die zunächst zufällige Verhaltensweise mit einem Erfolgserlebnis verknüpft war.

Auf Menschenkinder übertragen heißt das: ein Kind muss Dinge selbst ausprobieren dürfen (Versuch). Es muss und wird dabei Fehler (Irrtum) machen. Das zunächst zufällige Verhalten führt zu einem gewünschten, als angenehm empfundenen Erfolg. Der Erfolg selbst verstärkt dieses Verhalten, dass heißt er führt zur Wiederholung des Verhaltens.

Ein Beispiel: Ein Kind baut einen Turm. Es legt Klötzchen auf zufällige Art aufeinander, der Turm fällt um. Das Kind startet einen erneuten Versuch. Zufällig sind diesmal die Klötzchen in der Balance. Das Ergebnis (der Turm bleibt stehen) ist für das Kind ein Erfolgserlebnis. Diese positive Verstärkung – man könnte sie auch einfach Freude nennen –  führt dazu, dass das Kind beim nächsten Turmbau die Klötzchen gezielter legt – so dass irgendwann die Statik stimmt. Das Kind hat es alleine geschafft!

Das heißt: Ein Kind muss Dinge ausprobieren dürfen. Ein Kind darf und muss Fehler machen. Wenn es sich dann nicht entmutigen lässt und erneute Versuche startet, wird es einen Erfolg erleben. Diese Erfahrung ermutigt das Kind auch andere Dinge durch Ausprobieren zu lernen. Es hat durch Versuch und Irrtum weitaus mehr gelernt als eine Lektion in Statik.

Lernen am Modell: Lernen durch Beobachtung und Nachahmung

Die komplexe Welt des Menschen lässt sich nicht alleine durch Signallernen, Versuch und Irrtum und Belohnung und Bestrafung erlernen. Die Natur hat dafür noch andere Mechanismen vorgesehen wie zum Beispiel das Lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Das Lernen am Modell wurde von Albert Bandura in den 60er Jahren untersucht und theoretisch untermauert.

In einem Versuch stellte Bandura fest, dass Kinder im Vorschulalter bereit sind, das aggressive Verhalten einer Person, die eine Puppe schlug und beschimpfte, nachzuahmen – und zwar umso mehr, wenn diese Person für ihr Verhalten belohnt wurde.  Blieb das Verhalten der Person ohne Konsequenzen oder wurde es bestraft, ahmten die Kinder es nicht nach. Bandura spricht hier von einer stellvertretenden Verstärkung: Die Kinder wurden zwar nicht selbst belohnt, sie identifizierten sich aber mit der belohnten Person.

Kinder lernen durch Nachahmung – und suchen sich dabei Vorbilder, deren Verhalten belohnt wird. Die bevorzugten Modelle kindlicher Nachahmung sind aber die Eltern und Erzieher. Es macht ja auch Sinn sich Vieles abzugucken: Auch Erwachsene tun das, wenn sie erst einmal zuschauen, wie die anderen die Fahrkarten aus dem Automaten herausbekommen.

Der kindliche Nachahmungsdrang nimmt Eltern und Erzieher ganz besonders in die Pflicht. Denn was sie ihren Kindern vorleben, wird häufig 1:1 wiedergegeben. Sollten also Eltern und Erzieher unerwünschte Verhaltensweisen bei ihren Kindern entdecken, empfiehlt es sich zuerst einmal einen Blick in den Spiegel zu werfen.

Der denkende Mensch: Lernen durch Einsicht

Der Mensch kann Probleme lösen, Begriffe bilden, kreativ Neues schöpfen – das alles lässt sich nicht durch Konditionierung, Nachahmung, Versuch und Irrtum erklären. Eine der höchst entwickelten Lernformen ist das Lernen durch Einsicht.

Von einsichtigem Lernen spricht man immer, wenn allein durch Denken ein Zusammenhang zwischen dem Problem und seiner Lösung hergestellt werden kann. Neben dem Menschen wird diese Art zu lernen nur ansatzweise noch vom Affen beherrscht.

Lernen durch Einsicht, das heißt: Wir sind in der Lage, komplizierte Sachverhalte zu analysieren und zu durchschauen. Wir können allein durch Denken zu einer richtigen Lösung eines Problems gelangen – ohne wie beim Versuch-und-Irrtum-Lernen, vorher auszuprobieren. Wir übertragen dabei rein gedanklich Lösungen, die in einer ähnlichen Situation hilfreich waren und stellen also eine Transferleistung her. Einsicht lässt sich also immer nur aufgrund von Vorwissen gewinnen.

Sie möchten sich schlau machen, wie kindliches Lernen funktioniert? Wie Sie Ihr Kind oder die Ihnen anvertrauten Kinder optimal fördern? Der Lehrgang „Kindererziehung“ vermittelt Ihnen grundlegende Kenntnisse.

 

Kindererziehung

Nie zuvor war die Verunsicherung über Erziehung größer als heute. Gerade weil wir alles richtig machen wollen, sind wir orientierungsloser denn je.

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